Sachverhalt:
Die Analyse der
Urteilsbegründung ergab folgende Aussagen:
1. Ein doppelter Inflationsausgleich ist unzulässig. Ein
doppelter Inflationsausgleich liegt dann vor, wenn gleichzeitig eine
Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten sowie eine Nominalverzinsung
nach Anschaffungsrestwerten angesetzt werden. (Rn. 72)
2. Nominalzinsen beinhalten Zinsgewinnbestandteil, Realzins
und allgemeinen Inflationsausgleich. (Rn. 48)
3. Fremdkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn. 107)
4. Für die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes ist der bis
zu zehnjährige Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche
Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten (bis zum Vorvorjahr des
Veranlagungsjahres) anzuwenden. (Rn. 185)
5. Dieser Eigenkapitalzinssatz ist ein Nominalzinssatz. (Rn.
175)
6. Die Ermittlung eines Realzinssatzes ist im Urteil nicht
enthalten.
7. Zwei Betriebserhaltungskonzeptionen stehen für die
Gebührenbedarfsberechnung zur Wahl (Rn. 121). Sofern die spezielle
Preissteigerung der Anlagegüter der allgemeinen Preissteigerung entspricht, ergibt sich zwischen beiden
Konzeptionen kein Unterschied.
a.
reale Kapitalerhaltung
i. Fremd- & Eigenkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn.
95)
ii. Die kalkulatorische Abschreibung erfolgt auf Basis der
Anschaffungs- & Herstellungskosten (Rn. 97)
iii. Die kalkulatorische Verzinsung erfolgt auf Basis der
Restbuchwerte der Anschaffungs- und Herstellungskosten mit einem
Nominalzinssatz (Rn. 97)
iv. Ein einheitlicher Nominalzinssatz auf Basis des für das
Eigenkapital ermittelten Zinssatzes (zehnjähriger Durchschnitt der
Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher
Emittenten) ist anwendbar. (Rn. 175)
v. Übersteigt der tatsächliche Fremdkapitalzinssatz diesen
Zinssatz (siehe iv.), können entweder nach Eigen- und Fremdkapital getrennte
Zinssätze oder ein gewichteter Mischzinssatz angewendet werden. (Rn. 194)
b.
reproduktive Nettosubstanzerhaltung
i. Fremdkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn. 103)
ii. Eigenkapitalzinsen sind Realzinsen (Rn. 103)
iii. Die kalkulatorische Abschreibung erfolgt getrennt nach
Finanzierungsart. (Rn. 105)
1. Mit Eigenkapital finanziertes Anlagevermögen wird nach
Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben und nach Restbuchwerten auf Basis von
Wiederbeschaffungszeitwerten verzinst.
2. Mit Fremdkapital finanziertes Anlagevermögen wird nach
Anschaffungs- und Herstellungskosten abgeschrieben und nach Restbuchwerten auf
Basis von Anschaffungs- und Herstellungskosten verzinst.
ALTERNATIV (Rn. 105)
i. Unabhängig von der Finanzierungsart wird das gesamte
Anlagevermögen Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben und nach Restbuchwerten
auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten verzinst, allerdings kommt nur eine
kalkulatorische Realverzinsung in Betracht. (Rn. 108)
Bei der realen Kapitalerhaltung entspricht die zu berücksichtigende
Abschreibung der tatsächlichen bilanziellen Abschreibung. Hieraus kann sich
kein Ergebniseffekt ergeben. Bei der Verzinsung werden für das Fremdkapital die
tatsächlichen Zinsen angesetzt, woraus sich ebenfalls kein Ergebniseffekt
ergibt. Lediglich die Verzinsung des Eigenkapitals führt zu einem
Ergebniseffekt.
Bei der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung wird das Fremdkapital
mit Nominalzinssatz verzinst (mit Inflationsausgleich), das Eigenkapital mit
Realzinssatz (ohne Inflationsausgleich). Die Verzinsung erfolgt bei
Fremdfinanzierung auf Basis der Restbuchwerte der tatsächlichen Anschaffungs-
und Herstellungskosten (ohne Inflationsausgleich), bei der Eigenfinanzierung
auf Basis der Restbuchwerte der Wiederbeschaffungszeitwerte (mit Inflationsausgleich).
Im Gegenzug erfolgt die Abschreibung des fremdfinanzierten Anlagevermögens von
den tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten (ohne
Inflationsausgleich). Das eigenfinanzierte Anlagevermögen wird nach
Wiederbeschaffungszeitwerten abgeschrieben (mit Inflationsausgleich).
[Doppelter Inflationsausgleich bei eigenfinanziertem Anlagevermögen?]
Alternative zur Vereinfachung:
Das gesamte Anlagevermögen wird auf Basis der Wiederbeschaffungszeitwerte
abgeschrieben (mit Inflationsausgleich). Die Verzinsung erfolgt zum
Realzinssatz (ohne Inflationsausgleich) auf Basis der Restbuchwerte der
Wiederbeschaffungszeitwerte (mit Inflationsausgleich). [Doppelter
Inflationsausgleich?]
Sofern die Analyse des Urteils korrekt ist, sind u. E. zwei Fragen offen:
- Ist die Vermutung, dass bei der reproduktiven
Nettosubstanzerhaltung ein doppelter Inflationsausgleich aufgrund des
Ansatzes von Wiederbeschaffungszeit(rest)werten für Abschreibung und
Verzinsung (Rn. 108) vorliegt, zutreffend? Falls ja, wie ist damit umzugehen?
- Wie wird der Realzinssatz ermittelt?
Hierzu gibt es im Internet[1]
Ansätze, die jedoch zu weiteren Fragen führen:
Der Realzins bezeichnet in den Wirtschaftswissenschaften den Zinssatz, der die
Wertänderung eines Vermögens unter Berücksichtigung der Inflation oder
Deflation angibt. Er berücksichtigt also, dass ein Geldvermögen bei steigendem
Preisniveau an Wert oder Kaufkraft verliert oder umgekehrt bei sinkendem
Preisniveau an Wert gewinnt.
Der Realzins wird näherungsweise als Differenz von Nominalzins und
Inflationsrate errechnet.
Liegt die Inflationsrate über dem Nominalzins, bekommt der Realzins ein
negatives Vorzeichen. Das bedeutet, dass trotz Zinsen ein effektiver
Wertverlust vorhanden ist.
Für die näherungsweise Berechnung des
Realzinssatzes stellt sich die Frage, welcher Nominalzinssatz und welche
Inflationsrate anzunehmen sind.
Nach einer ersten Einschätzung tendieren wir zur reproduktiven
Nettosubstanzerhaltung gemäß Alternative (Abschreibung auf WBZW mit
Realverzinsung). Hintergrund ist die Annahme, dass die spezielle
Preissteigerung (Entwässerungskanalarbeiten Ortskanäle – Februar 2022: 139,9)
die allgemeine Preissteigerung (Verbraucherpreisindex insgesamt – Februar 2022:
112,5) überwiegend überschreiten wird. Der einmal gewählte Kalkulationsansatz
ist u. E. aus Gründen der Berechnungskontinuität langfristig beizubehalten.
Wie erwähnt ist die
Ermittlung des Realzinssatzes noch zu klären.
Der zehnjährige
Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere
inländischer öffentlicher Emittenten bis zum Vorvorjahr des Veranlagungsjahres
(d. h. 2021 für 2023) liegt aufgrund der Niedrigzinsphase mit Negativzinsen bei
0,46 %.
Die
durchschnittliche Inflationsrate für den selben Zeitraum beträgt 1,38 %.
Die näherungsweise
Ermittlung des Realzinssatzes als Differenz aus Nominalzinssatz und
Inflationsrate ergibt -0,92 %.
Eine alternative
Ermittlung des Realzinssatzes ist mit Bezug auf
den gewichteten Nominalzinssatz (entsprechend Rn. 194) denkbar.
Der
durchschnittliche Zinssatz der Darlehen (Stadt, Kreditinstitute und
Wupperverband) betrug 2021 1,32 %. Dieser Zinssatz wurde anhand der im Jahr
tatsächlich gezahlten Zinsen und dem durchschnittlichen Darlehensstand
(Mittelwert der Restsumme der Darlehen zum 01.01.2021 und zum 31.12.2021)
gebildet. Der Anteil des Eigenkapitals inkl. Sonderposten beträgt gemäß
vorläufiger Bilanz 2021 26 %. Somit ergibt sich ein gewichteter kalkulatorischer
Zinssatz von 1,09 %.
In diesem Fall
ergibt die näherungsweise Ermittlung des Realzinssatzes als Differenz aus
Nominalzinssatz und Inflationsrate ergibt -0,29 %.
Gemäß Urteil wird
für die Verzinsung des Fremdkapitals ein nach den jeweiligen Kreditsummen
gewichteter Durchschnittszinssatz aus den aufgenommenen Krediten definiert (Rn.
165). Demnach sind die im Jahr tatsächlich gezahlten Zinsen sowie die aktuellen
Darlehensstände nicht relevant. Dieser Durchschnittswert beträgt 1,40 %. Daraus
folgt ein gewichteter kalkulatorischer Zinssatz von 1,16 % und ein Realzinssatz
von -0,22 %.
Bei der
kalkulatorischen Verzinsung handelt es sich um ansatzfähige Kosten, die nicht
angesetzt werden müssen. Deshalb wird bei negativen Realzinssätzen keine
kalkulatorische Verzinsung berücksichtigt.
Eine grobe
Betrachtung der Veränderung der ansatzfähigen kalkulatorischen Kosten spricht
für die Betriebserhaltungskonzeption der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung.
Es ist mit einer Kostenreduzierung von etwa 2,5 Mio. Euro zu rechnen.
Beschlussvorschlag:
Für die
Gebührenkalkulation 2023ff wird – entsprechend der neuen Rechtsprechung – die Betriebserhaltungskonzeption der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung beschlossen.
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Der Vorstand gezeichnet Ute Bolte |