Betreff
Anpassung der Gebührenbedarfsberechnung 2023ff an die aktuelle Rechtsprechung
Vorlage
109/2022
Aktenzeichen
Bo
Art
Beschlussvorlage der TBS

Sachverhalt:

 

Die Analyse der Urteilsbegründung ergab folgende Aussagen:

 

1.    Ein doppelter Inflationsausgleich ist unzulässig. Ein doppelter Inflationsausgleich liegt dann vor, wenn gleichzeitig eine Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten sowie eine Nominalverzinsung nach Anschaffungsrestwerten angesetzt werden. (Rn. 72)

2.    Nominalzinsen beinhalten Zinsgewinnbestandteil, Realzins und allgemeinen Inflationsausgleich. (Rn. 48)

3.    Fremdkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn. 107)

4.    Für die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes ist der bis zu zehnjährige Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten (bis zum Vorvorjahr des Veranlagungsjahres) anzuwenden. (Rn. 185)

5.    Dieser Eigenkapitalzinssatz ist ein Nominalzinssatz. (Rn. 175)

6.    Die Ermittlung eines Realzinssatzes ist im Urteil nicht enthalten.

7.    Zwei Betriebserhaltungskonzeptionen stehen für die Gebührenbedarfsberechnung zur Wahl (Rn. 121). Sofern die spezielle Preissteigerung der Anlagegüter der allgemeinen Preissteigerung  entspricht, ergibt sich zwischen beiden Konzeptionen kein Unterschied.

a.    reale Kapitalerhaltung

                                          i.    Fremd- & Eigenkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn. 95)

                                        ii.    Die kalkulatorische Abschreibung erfolgt auf Basis der Anschaffungs- & Herstellungskosten (Rn. 97)

                                       iii.    Die kalkulatorische Verzinsung erfolgt auf Basis der Restbuchwerte der Anschaffungs- und Herstellungskosten mit einem Nominalzinssatz (Rn. 97)

                                       iv.    Ein einheitlicher Nominalzinssatz auf Basis des für das Eigenkapital ermittelten Zinssatzes (zehnjähriger Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten) ist anwendbar. (Rn. 175)

                                        v.    Übersteigt der tatsächliche Fremdkapitalzinssatz diesen Zinssatz (siehe iv.), können entweder nach Eigen- und Fremdkapital getrennte Zinssätze oder ein gewichteter Mischzinssatz angewendet werden. (Rn. 194)

b.    reproduktive Nettosubstanzerhaltung

                                          i.    Fremdkapitalzinsen sind Nominalzinsen. (Rn. 103)

                                        ii.    Eigenkapitalzinsen sind Realzinsen (Rn. 103)

                                       iii.    Die kalkulatorische Abschreibung erfolgt getrennt nach Finanzierungsart. (Rn. 105)

1.    Mit Eigenkapital finanziertes Anlagevermögen wird nach Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben und nach Restbuchwerten auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten verzinst.

2.    Mit Fremdkapital finanziertes Anlagevermögen wird nach Anschaffungs- und Herstellungskosten abgeschrieben und nach Restbuchwerten auf Basis von Anschaffungs- und Herstellungskosten verzinst.

ALTERNATIV (Rn. 105)

                                          i.    Unabhängig von der Finanzierungsart wird das gesamte Anlagevermögen Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben und nach Restbuchwerten auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten verzinst, allerdings kommt nur eine kalkulatorische Realverzinsung in Betracht. (Rn. 108)

 

Bei der realen Kapitalerhaltung entspricht die zu berücksichtigende Abschreibung der tatsächlichen bilanziellen Abschreibung. Hieraus kann sich kein Ergebniseffekt ergeben. Bei der Verzinsung werden für das Fremdkapital die tatsächlichen Zinsen angesetzt, woraus sich ebenfalls kein Ergebniseffekt ergibt. Lediglich die Verzinsung des Eigenkapitals führt zu einem Ergebniseffekt.

 

Bei der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung wird das Fremdkapital mit Nominalzinssatz verzinst (mit Inflationsausgleich), das Eigenkapital mit Realzinssatz (ohne Inflationsausgleich). Die Verzinsung erfolgt bei Fremdfinanzierung auf Basis der Restbuchwerte der tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten (ohne Inflationsausgleich), bei der Eigenfinanzierung auf Basis der Restbuchwerte der Wiederbeschaffungszeitwerte (mit Inflationsausgleich). Im Gegenzug erfolgt die Abschreibung des fremdfinanzierten Anlagevermögens von den tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten (ohne Inflationsausgleich). Das eigenfinanzierte Anlagevermögen wird nach Wiederbeschaffungszeitwerten abgeschrieben (mit Inflationsausgleich). [Doppelter Inflationsausgleich bei eigenfinanziertem Anlagevermögen?]

Alternative zur Vereinfachung:

Das gesamte Anlagevermögen wird auf Basis der Wiederbeschaffungszeitwerte abgeschrieben (mit Inflationsausgleich). Die Verzinsung erfolgt zum Realzinssatz (ohne Inflationsausgleich) auf Basis der Restbuchwerte der Wiederbeschaffungszeitwerte (mit Inflationsausgleich). [Doppelter Inflationsausgleich?]

 

Sofern die Analyse des Urteils korrekt ist, sind u. E. zwei Fragen offen:

  1. Ist die Vermutung, dass bei der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung ein doppelter Inflationsausgleich aufgrund des Ansatzes von Wiederbeschaffungszeit(rest)werten für Abschreibung und Verzinsung (Rn. 108) vorliegt, zutreffend? Falls ja, wie ist damit umzugehen?
  2. Wie wird der Realzinssatz ermittelt?

Hierzu gibt es im Internet[1] Ansätze, die jedoch zu weiteren Fragen führen:
Der Realzins bezeichnet in den Wirtschaftswissenschaften den Zinssatz, der die Wertänderung eines Vermögens unter Berücksichtigung der Inflation oder Deflation angibt. Er berücksichtigt also, dass ein Geldvermögen bei steigendem Preisniveau an Wert oder Kaufkraft verliert oder umgekehrt bei sinkendem Preisniveau an Wert gewinnt.

Der Realzins wird näherungsweise als Differenz von Nominalzins und Inflationsrate errechnet.

Liegt die Inflationsrate über dem Nominalzins, bekommt der Realzins ein negatives Vorzeichen. Das bedeutet, dass trotz Zinsen ein effektiver Wertverlust vorhanden ist.

Für die näherungsweise Berechnung des Realzinssatzes stellt sich die Frage, welcher Nominalzinssatz und welche Inflationsrate anzunehmen sind.             

 

Nach einer ersten Einschätzung tendieren wir zur reproduktiven Nettosubstanzerhaltung gemäß Alternative (Abschreibung auf WBZW mit Realverzinsung). Hintergrund ist die Annahme, dass die spezielle Preissteigerung (Entwässerungskanalarbeiten Ortskanäle – Februar 2022: 139,9) die allgemeine Preissteigerung (Verbraucherpreisindex insgesamt – Februar 2022: 112,5) überwiegend überschreiten wird. Der einmal gewählte Kalkulationsansatz ist u. E. aus Gründen der Berechnungskontinuität langfristig beizubehalten.

 

Wie erwähnt ist die Ermittlung des Realzinssatzes noch zu klären.

 

Der zehnjährige Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten bis zum Vorvorjahr des Veranlagungsjahres (d. h. 2021 für 2023) liegt aufgrund der Niedrigzinsphase mit Negativzinsen bei 0,46 %. 

Die durchschnittliche Inflationsrate für den selben Zeitraum beträgt 1,38 %.

Die näherungsweise Ermittlung des Realzinssatzes als Differenz aus Nominalzinssatz und Inflationsrate ergibt -0,92 %.

 

Eine alternative Ermittlung des Realzinssatzes ist mit Bezug auf  den gewichteten Nominalzinssatz (entsprechend Rn. 194) denkbar.

 

Der durchschnittliche Zinssatz der Darlehen (Stadt, Kreditinstitute und Wupperverband) betrug 2021 1,32 %. Dieser Zinssatz wurde anhand der im Jahr tatsächlich gezahlten Zinsen und dem durchschnittlichen Darlehensstand (Mittelwert der Restsumme der Darlehen zum 01.01.2021 und zum 31.12.2021) gebildet. Der Anteil des Eigenkapitals inkl. Sonderposten beträgt gemäß vorläufiger Bilanz 2021 26 %. Somit ergibt sich ein gewichteter kalkulatorischer Zinssatz von 1,09 %.

 

In diesem Fall ergibt die näherungsweise Ermittlung des Realzinssatzes als Differenz aus Nominalzinssatz und Inflationsrate ergibt -0,29 %.

 

Gemäß Urteil wird für die Verzinsung des Fremdkapitals ein nach den jeweiligen Kreditsummen gewichteter Durchschnittszinssatz aus den aufgenommenen Krediten definiert (Rn. 165). Demnach sind die im Jahr tatsächlich gezahlten Zinsen sowie die aktuellen Darlehensstände nicht relevant. Dieser Durchschnittswert beträgt 1,40 %. Daraus folgt ein gewichteter kalkulatorischer Zinssatz von 1,16 % und ein Realzinssatz von -0,22 %.

 

Bei der kalkulatorischen Verzinsung handelt es sich um ansatzfähige Kosten, die nicht angesetzt werden müssen. Deshalb wird bei negativen Realzinssätzen keine kalkulatorische Verzinsung berücksichtigt.

 

Eine grobe Betrachtung der Veränderung der ansatzfähigen kalkulatorischen Kosten spricht für die Betriebserhaltungskonzeption der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung. Es ist mit einer Kostenreduzierung von etwa 2,5 Mio. Euro zu rechnen.

 


Beschlussvorschlag:

 

Für die Gebührenkalkulation 2023ff wird – entsprechend der neuen Rechtsprechung –  die Betriebserhaltungskonzeption der reproduktiven Nettosubstanzerhaltung beschlossen.

 


 

Der Vorstand

gezeichnet

Ute Bolte