Betreff
Auswirkungen der SGB VIII-Reform
Vorlage
168/2021
Aktenzeichen
4/51-1.02DA
Art
Berichtsvorlage

Sachverhalt:

 

Die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist bereits seit längerem Gegenstand der politischen Diskussion.

In der zurückliegenden Legislaturperiode kam der Gesetzentwurf, trotz umfangreicher Vorbereitungen, nicht abschließend durch die bundespolitischen Gremien.

Ende 2018 wurde mit dem „Mitdenken-Mitgestalten-Dialogprozess“ ein zweiter Anlauf zur Modernisierung des SGB VIII gestartet. Nach Auswertung mehrerer Sitzungen einer interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, unter wissenschaftlicher Begleitung, einer Online-Konsultation von Betroffenen und Fachkräften sowie der Ergebnisse verschiedener Dialogforen und der Arbeitsgruppe Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern legte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Oktober 2020 einen Referentenentwurf vor. Im März 2021 folgten dann die Änderungsvorschläge des Bundesrates sowie eine Gegenäußerung der Bundesregierung.

Der Bundestag hat das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) schließlich am 22.04.2021 verabschiedet. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 07.05.2021.

Der Bundesrat hat dabei im Übrigen beschlossen, einen dauerhaften und vollständigen Kostenausgleich mit der Bundesregierung hinsichtlich der Mehrbelastungen bei Ländern und Kommunen durch Änderung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern anzustreben.

Durch das KJSG soll eine Verbesserung des Hilfesystems zur Stärkung der Familie und zum Schutz vor Kindeswohlgefährdungen sowie durch weitere Reformschritte erreicht werden.

 

 

Das Gesetz enthält folgende Schwerpunkte:

 

  Besserer Kinder- und Jugendschutz durch verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und in Auslandsmaßnahmen sowie durch mehr Kooperation der verantwortlichen Akteure vor Ort. Heime und ähnliche Einrichtungen werden einer strengeren Aufsicht und Kontrolle unterstellt. Kinder in Pflegefamilien verbleiben auf Anordnung des Familiengerichts dauerhaft dort, wenn dies zum Schutz und Wohl des Kindes erforderlich ist. Die Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen wird zur Pflicht.

 

  Stärkung der Prävention durch die Erweiterung niederschwelliger Hilfeangebote, die Kombination unterschiedlicher Hilfen zur Erziehung und Modernisierung der Familienförderung

 

  Die Stärkung der Beteiligungsrechte junger Menschen. Dies soll u. a durch einen uneingeschränkten Beratungsanspruch für Kinder und Jugendliche sowie die verpflichtende Einrichtung von Ombudsstellen erreicht werden; ebenso durch externe Beschwerdemöglichkeiten in Einrichtungen der Erziehungshilfe und die Gewährleistung von Beschwerdemöglichkeiten für Pflegekinder

 

  Das neue Gesetz sieht außerdem vor, junge Menschen in Pflegefamilien und Einrichtungen, die Einkommen aus Schülerjobs, Praktika oder einer Ausbildung haben, nur noch mit 25 % an den Kosten der Jugendhilfe zu beteiligen (bislang waren es 75 %). Ein Freibetrag von 150 € bleibt von der Kostenbeteiligung ausgenommen.

 

  Ein Kernstück der Reform mit den wohl nachhaltigsten Auswirkungen ist die Bündelung der staatlichen Leistungen und Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im SGB VIII. Prinzipiell soll die Inklusion als Leitgedanke in der Kinder- und Jugendhilfe und die grundsätzlich gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung verankert werden. Ab 2024 wird die Funktion eines Verfahrenslotsen beim Jugendamt eingerichtet, der als Ansprechpartner für Eltern und andere Erziehungsberechtigte fungiert. Die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe können zudem auch schon vor dem 01. Januar 2024 Verfahrenslotsen zur Verbesserung der Inklusion einsetzen.

 

  2028 soll die Kinder- und Jugendhilfe dann für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zuständig werden (sog. „Inklusive Lösung“). Voraussetzung dazu ist jedoch, dass dies zuvor (bis 2027) ein Bundesgesetz regelt. Es ist zu erwarten, dass diese „Inklusive Lösung“ erhebliche Auswirkungen in NRW haben wird.

 

  Der Bundesrat konnte einige Interventionen im neuen KJSG verankern, z. B. eine Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten bei Gefahren für das Kindeswohl im Regelfall das Jugendamt zu informieren.

 

Die kommunalen Spitzenverbände bemühten sich im Gesetzgebungsverfahren darum, eine einseitige kommunale Verantwortung für die absehbaren finanziellen Mehrbelastungen zu vermeiden. Nach einer ersten vorläufigen kommunalen Schätzung ist durch die Verbesserungen der Kinder- und Jugendhilfe mit einer Mehrbelastung von ca. 200 Mio. € jährlich zu rechnen. Nicht zu beziffern sind dabei Wirkungen, die dadurch bei den Hilfen zur Erziehung zu erwarten sind. Insbesondere die Weiterentwicklung der Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe wird weitere erhebliche Mehrkosten nach sich ziehen.

 

Die Bundesregierung selbst geht in ihrem Gesetzentwurf von einer finanziellen Mehrbelastung der Länder und Kommunen in Höhe von rund 114 Mio.€ pro Jahr aus. Ein Ausgleich dieser von der Bundesregierung selbst erwarteten finanziellen Belastung ist nicht vorgesehen.

 

Es ist zu vermuten, dass viele Weichenstellungen, z. B. bei den verbesserten Angeboten für junge Erwachsene nach dem Verlassen der stationären Jugendhilfe, die Reduktion der Kostenheranziehung, der Ausbau der Beratungsstrukturen und die Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe unmittelbar zu einem erheblichen Anstieg der Ausgaben in den Hilfen zur Erziehung und außerdem zu erheblichem Personalmehrbedarf führen werden.

Die kommunalen Spitzenverbände sind derzeit bemüht, einen vollständigen Ausgleich der kommunalen Mehrbelastungen zu erreichen.

 


 

 


 

 

Der Bürgermeister

in Vertretung

gez. Schweinsberg