Sachverhalt:
Die Reform des Kinder- und
Jugendhilfegesetzes ist bereits seit längerem Gegenstand der politischen
Diskussion.
In der zurückliegenden Legislaturperiode kam
der Gesetzentwurf, trotz umfangreicher Vorbereitungen, nicht abschließend durch
die bundespolitischen Gremien.
Ende 2018 wurde mit dem
„Mitdenken-Mitgestalten-Dialogprozess“ ein zweiter Anlauf zur Modernisierung
des SGB VIII gestartet. Nach Auswertung mehrerer Sitzungen einer
interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, unter wissenschaftlicher
Begleitung, einer Online-Konsultation von Betroffenen und Fachkräften sowie der
Ergebnisse verschiedener Dialogforen und der Arbeitsgruppe Kinder psychisch-
und suchtkranker Eltern legte das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Oktober 2020 einen Referentenentwurf vor. Im März
2021 folgten dann die Änderungsvorschläge des Bundesrates sowie eine
Gegenäußerung der Bundesregierung.
Der Bundestag hat das Gesetz zur Stärkung
von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)
schließlich am 22.04.2021 verabschiedet. Die notwendige Zustimmung des
Bundesrates erfolgte am 07.05.2021.
Der Bundesrat hat dabei im Übrigen
beschlossen, einen dauerhaften und vollständigen Kostenausgleich mit der
Bundesregierung hinsichtlich der Mehrbelastungen bei Ländern und Kommunen durch
Änderung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern anzustreben.
Durch das KJSG soll eine Verbesserung des
Hilfesystems zur Stärkung der Familie und zum Schutz vor Kindeswohlgefährdungen
sowie durch weitere Reformschritte erreicht werden.
Das Gesetz enthält folgende Schwerpunkte:
•
Besserer Kinder- und Jugendschutz durch verbesserten Schutz von Kindern
und Jugendlichen in Einrichtungen und in Auslandsmaßnahmen sowie durch mehr
Kooperation der verantwortlichen Akteure vor Ort. Heime und ähnliche
Einrichtungen werden einer strengeren Aufsicht und Kontrolle unterstellt.
Kinder in Pflegefamilien verbleiben auf Anordnung des Familiengerichts
dauerhaft dort, wenn dies zum Schutz und Wohl des Kindes erforderlich ist. Die
Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen wird zur
Pflicht.
•
Stärkung der Prävention durch die Erweiterung niederschwelliger
Hilfeangebote, die Kombination unterschiedlicher Hilfen zur Erziehung und
Modernisierung der Familienförderung
• Die
Stärkung der Beteiligungsrechte junger Menschen. Dies soll u. a durch einen
uneingeschränkten Beratungsanspruch für Kinder und Jugendliche sowie die
verpflichtende Einrichtung von Ombudsstellen erreicht werden; ebenso durch
externe Beschwerdemöglichkeiten in Einrichtungen der Erziehungshilfe und die
Gewährleistung von Beschwerdemöglichkeiten für Pflegekinder
• Das
neue Gesetz sieht außerdem vor, junge Menschen in Pflegefamilien und
Einrichtungen, die Einkommen aus Schülerjobs, Praktika oder einer Ausbildung
haben, nur noch mit 25 % an den Kosten der Jugendhilfe zu beteiligen (bislang
waren es 75 %). Ein Freibetrag von 150 € bleibt von der Kostenbeteiligung
ausgenommen.
• Ein
Kernstück der Reform mit den wohl nachhaltigsten Auswirkungen ist die Bündelung
der staatlichen Leistungen und Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen
im SGB VIII. Prinzipiell soll die Inklusion als Leitgedanke in der Kinder- und
Jugendhilfe und die grundsätzlich gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne
Behinderung verankert werden. Ab 2024 wird die Funktion eines Verfahrenslotsen
beim Jugendamt eingerichtet, der als Ansprechpartner für Eltern und andere
Erziehungsberechtigte fungiert. Die Träger der öffentlichen Kinder- und
Jugendhilfe können zudem auch schon vor dem 01. Januar 2024 Verfahrenslotsen
zur Verbesserung der Inklusion einsetzen.
•
2028 soll die Kinder- und Jugendhilfe dann für alle Kinder und
Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zuständig werden (sog. „Inklusive
Lösung“). Voraussetzung dazu ist jedoch, dass dies zuvor (bis 2027) ein Bundesgesetz
regelt. Es ist zu erwarten, dass diese „Inklusive Lösung“ erhebliche
Auswirkungen in NRW haben wird.
• Der
Bundesrat konnte einige Interventionen im neuen KJSG verankern, z. B. eine
Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten bei Gefahren für das Kindeswohl im
Regelfall das Jugendamt zu informieren.
Die kommunalen Spitzenverbände bemühten sich
im Gesetzgebungsverfahren darum, eine einseitige kommunale Verantwortung für
die absehbaren finanziellen Mehrbelastungen zu vermeiden. Nach einer ersten
vorläufigen kommunalen Schätzung ist durch die Verbesserungen der Kinder- und
Jugendhilfe mit einer Mehrbelastung von ca. 200 Mio. € jährlich zu rechnen.
Nicht zu beziffern sind dabei Wirkungen, die dadurch bei den Hilfen zur
Erziehung zu erwarten sind. Insbesondere die Weiterentwicklung der Inklusion in
der Kinder- und Jugendhilfe wird weitere erhebliche Mehrkosten nach sich
ziehen.
Die Bundesregierung selbst geht in ihrem
Gesetzentwurf von einer finanziellen Mehrbelastung der Länder und Kommunen in
Höhe von rund 114 Mio.€ pro Jahr aus. Ein Ausgleich dieser von der
Bundesregierung selbst erwarteten finanziellen Belastung ist nicht vorgesehen.
Es ist zu vermuten, dass viele
Weichenstellungen, z. B. bei den verbesserten Angeboten für junge Erwachsene
nach dem Verlassen der stationären Jugendhilfe, die Reduktion der
Kostenheranziehung, der Ausbau der Beratungsstrukturen und die Inklusion in der
Kinder- und Jugendhilfe unmittelbar zu einem erheblichen Anstieg der Ausgaben
in den Hilfen zur Erziehung und außerdem zu erheblichem Personalmehrbedarf
führen werden.
Die kommunalen Spitzenverbände sind derzeit
bemüht, einen vollständigen Ausgleich der kommunalen Mehrbelastungen zu
erreichen.
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Der Bürgermeister in Vertretung gez. Schweinsberg |