Sachverhalt:
Einleitung
Nach derzeit
geltendem Recht sind juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) gemäß
§ 2 Abs. 3 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) nur im Rahmen ihrer Betriebe
gewerblicher Art (BgA) i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4
Körperschaft-steuergesetz (KStG) sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe unternehmerisch tätig.
Durch diese Bindung an den körperschaftsteuerlichen Begriff des Betriebs
gewerblicher Art unterliegt insbesondere die vermögensverwaltende Tätigkeit der
öffentlichen Hand, die nach Körperschaftsteuerrecht grundsätzlich keinen
Betrieb gewerblicher Art darstellt, nicht der Umsatzbesteuerung. Auch die
sogenannten Beistandsleistungen zwischen jPdöR unterlagen bisher nicht der
Umsatzsteuer.
Die in den letzten Jahren praktizierte Umsatzbesteuerung der öffentlichen
Hand stand regelmäßig im Fokus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des
Europäischen Gerichtshofs. Dabei zeigte die Rechtsprechung immer wieder auf,
dass das deutsche Umsatzsteuerrecht in Teilen nicht in Übereinstimmung mit dem
europäischen Recht steht und daher Anpassungsbedarf vorliegt.
Nunmehr sind Finanzverwaltung und Gesetzgeber tätig geworden um die
Umsatzbesteuerung von jPdöR den Vorgaben
der Rechtsprechung anzugleichen.
Wegfall von § 2 Abs. 3 UStG
und Einführung des neuen § 2b UStG
Durch den Wegfall von § 2 Abs. 3 UStG hat sich der Gesetzgeber dafür
entschieden, die bisherige Verknüpfung der umsatzsteuerlichen Beurteilung des
Handelns von jPdöR mit dem Begriff des BgA vollständig aufzugeben.
Der neue § 2b UStG hat zur Folge, dass bisherige Besteuerungsprivilegien
der öffentlichen Hand aufgehoben werden sollen. Jede Tätigkeit von jPdöR auf privatrechtlicher
Grundlage soll nunmehr als unternehmerisch und damit umsatzsteuerbar
eingestuft werden.
Übt sie demgegenüber eine Tätigkeit aus, die ihr im Rahmen der Ausübung
öffentlicher Gewalt obliegt und führt die Nichtbesteuerung nicht zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen, ist die jPdöR nicht als Unternehmer anzusehen. Diese
Regelung entspricht weitestgehend dem Wortlaut des Art. 13 MwStSystRL.
Keine Wettbewerbsverzerrungen und damit keine Umsatzbesteuerbarkeit
liegen insbesondere dann vor, wenn die Bagatellumsatzgrenze von 17.500 € pro
Jahr bei gleichartigen Tätigkeiten nicht überschritten ist. Diese Grenze ist
angelehnt an die sogenannte „Kleinunternehmerregelung“ des § 19 USTG, wobei der
Begriff „gleichartige Tätigkeiten“ noch auslegungsbedürftig sein wird.
Nach der aktuell noch geltenden Rechtslage tritt die Umsatzsteuerbarkeit
erst bei Überschreiten einer Umsatzgrenze von 30.678 € ein.
Außerdem liegen keine Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn vergleichbare,
auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§
9 UStG) einer Steuerbefreiung unterliegen. Dadurch soll die jPdöR einem
Unternehmer gleichgestellt werden.
Auch die Voraussetzungen für die Nichtsteuerbarkeit der sogenannten Beistandsleistungen
bzw. der interkommunalen Zusammenarbeit werden durch den neuen § 2 b UStG
geregelt. Danach müssen interkommunale Kooperationen gemäß § 2b Abs. 3 UStG
folgende Merkmale kumulativ aufweisen, um als nicht steuerbar behandelt zu
werden:
- die Leistungen müssen auf langfristigen
öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen
- die Leistungen müssen dem Erhalt der
öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten
obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen,
- die Leistungen dürfen ausschließlich
gegen Kostenerstattung erbracht werden
- der Leistende muss gleichartige
Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen
Rechts erbringen
§ 2b Abs. 4 UStG benennt schließlich Tätigkeiten von jPdöR, die per
Legaldefinition unabhängig von den bisher genannten Kriterien als
unternehmerische Tätigkeiten gelten, wie z.B. die Tätigkeit der Notare im
Landesdienst. Hier wird auch insbesondere auf die Europäische
Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie verwiesen, was zur Folge hat, dass
beispielsweise Energie- und Wasserlieferungen stets umsatzsteuerpflichtig sind.
Nach erster Einschätzung ergeben sich aus Sicht der Stadt Schwelm
aufgrund der Regelungen des § 2b Abs. 4
UStG keine neuen umsatzsteuerpflichtigen Tatbestände.
Die Neuregelung des § 2b UStG tritt zum 1. Januar 2016 in Kraft.
Allerdings ist eine Übergangsregelung vorgesehen, wonach für sämtliche vor dem
1. Januar 2017 ausgeführten Leistungen die bisherige Rechtslage anzuwenden ist.
Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein einjähriger Übergangszeitpunkt
angesichts der erheblichen Umstellungsbedarfe bei vielen jPdöR zu kurz bemessen
sein dürfte, wird ihnen in dem neu eingeführten § 27 Abs. 22 UStG die
Möglichkeit einer Optionserklärung eingeräumt. Danach kann gegenüber dem
Finanzamt einmalig erklärt werden, dass man den § 2 Abs. 3 UStG in der am
31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche Leistungen, die zwischen dem
01.01.2017 und dem 31.12.2020 weiterhin anwenden möchte.
Wesentlich ist, dass
die Erklärung bis zum 31.12.2016 beim zuständigen Finanzamt abgegeben worden
sein muss und sich immer einheitlich auf sämtliche von der jPdöR ausgeübten
Tätigkeiten zu beziehen hat. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines auf die
Abgabe folgenden Kalenderjahres widerrufen werden. Unterbleibt die
fristgerechte Abgabe beim Finanzamt gelten für die jPdöR die neuen Regelungen
des § 2b USTG, eine Rückkehr zum alten Rechtsstand ist nicht mehr möglich.
Vorläufige Einschätzung der
Sachlage
Zunächst kann festgehalten werden, dass viele der Begrifflichkeiten des
neuen § 2b UStG derzeit noch unklar und an vielen Stellen mit Unsicherheit
behaftet sind.
Ein Anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) sowie
Anwendungserlasse wurden bereits angekündigt, welche der weiteren Aufklärung
dienen sollen.
Ebenso unklar ist, ob die Neuregelungen seitens der EU überprüft und ggf.
als nicht EU-rechtskonform angesehen werden.
Für die Stadt Schwelm haben die neuen Regelungen nach vorläufiger
Einschätzung folgende Konsequenzen:
a)
Sämtliche
privatrechtliche Einnahmen sind nach neuem Recht umsatzsteuerbar und
sofern keine Steuerbefreiungstatbestände vorliegen auch steuerpflichtig. Zu den
privatrechtlichen Einnahmen zählen u.a. Mieten, Pachten und Entgelte. Es kann
z.B. davon ausgegangen werden, dass zukünftig die Entgelte für die Nutzung der
Sportstätten, die zurzeit nicht als BgA geführt werden umsatzsteuerpflichtig
werden. Dies impliziert natürlich auch, dass hier die Möglichkeit der
Vorsteuerabzugsberechtigung ausgeweitet wird.
b)
Im
Rahmen von interkommunalen Kooperationen kann zukünftig
Umsatzsteuerpflicht entstehen. Da jedoch viele Tatbestandsvoraussetzungen des §
2 b Abs. 3 UStG auslegungsbedürftig sind, ist eine derzeitige Beurteilung der
Sachlage schwierig. Was ist z.B. unter langfristigen öffentlich-rechtlichen
Vereinbarungen zu verstehen? Wie lauten die Kriterien um die
Tatbestandsvoraussetzung einer Kostenerstattung zu erfüllen? Wo liegen die
Grenzen um von einer „allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“
ausgehen zu können?
Nach bisheriger Einschätzung dürften z.B. die
Leistungen, die die Stadt Schwelm auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen
Vereinbarungen mit den Städten Ennepetal und Sprockhövel über die Durchführung
der Beihilfebearbeitung zukünftig steuerpflichtig sein. Ein entsprechender
Passus, der auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinweist, ist in den
zugrundeliegenden Vereinbarungen bereits enthalten.
c)
Auch Leistungen,
die zwischen der Stadt und den TBS also zwischen zwei verschiedenen
jPdöR ausgetauscht werden, könnten
umsatzsteuerpflichtig werden. Ausgenommen sind alle Leistungen, die im Rahmen
der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden und der jPdöR per Gesetz vorbehalten
sind. Zu nennen sind hier z.B. die Aufgaben der Abwasserbeseitigung, der
Straßenreinigung und des Winterdienstes.
Es könnte
allerdings sein, dass bestimmte Leistungen wie z.B. die Pflege der
städtischen Grünflächen zukünftig als Zusammenarbeit bei lediglich freiwilligen
Aufgaben beurteilt und damit umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig werden.
Abschließend lässt sich dies aber im Hinblick auf § 2 b Abs. 3 UStG nicht
beantworten, da bisher nicht klar definiert wurde, was unter einer „allen
Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“ zu verstehen ist.
Auch der Neubau und die Unterhaltung der
städtischen Straßen könnte als reine verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeit
bewertet werden, was wiederum eine Steuerpflicht auslösen könnte.
Sollten die genannten Leistungen zukünftig steuerpflichtig werden, ist
von einer deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushaltes auszugehen.
Ebenso dürften z.B. die Leistungen der Allgemeinen Datenverarbeitung, der
zentralen Dienste, des Ratsmanagements und des Personalbereiches, die die Stadt
für die TBS AöR erbringt umsatzsteuerpflichtig werden.
Hier ist anzumerken, dass der Gesetzgeber auf Leistungsbeziehungen
zwischen jPdöR innerhalb einer Stadt bisher nicht explizit eingegangen
ist.
Verfahrensvorschlag
Nach einer ersten Einschätzung wird es durch den neuen § 2b UStG zu einer
deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushaltes kommen. Diese resultiert
insbesondere aus der erwarteten zukünftigen Besteuerung der Leistungen der TBS,
die außerhalb der Gebührenbereiche liegen.
Da der Verwaltungsrat der TBS in der Sitzung am 21.06.2016 den Vorstand
beauftragt hat die Optionserklärung gem. § 27 Absatz 22 UStG gegenüber dem
Finanzamt abzugeben, tritt diese Mehrbelastung zunächst nicht ein.
Daneben sind die
Nachteile aus der Anwendung des § 2b UStG momentan überwiegend in der
Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Vielzahl von noch nicht näher erläuterten
Rechtsbegriffen zu sehen. Nach Vorliegen
des erwarteten BMF-Schreibens wird die Verwaltung die Sachverhalte im Einzelnen
prüfen und im Hinblick auf den endgültigen Umsetzungszeitpunkt alle notwendigen
Voraussetzungen für die Anwendung der Neuregelung schaffen.
Sollten sich bis zum 01.01.2021 Sachverhalte ergeben, die insgesamt
vorteilhafter für die Stadt sind, wird die Verwaltung dem Rat vorschlagen, die
Optionserklärung zu widerrufen.
Beschlussvorschlag:
Die
Bürgermeisterin wird beauftragt, die Optionserklärung gemäß § 27 Absatz 22 UStG
rechtzeitig vor dem 31.12.2016 gegenüber dem zuständigen Finanzamt abzugeben um
darzulegen, dass die Stadt für sämtliche zwischen dem 01.01.17 und dem
31.12.2020 ausgeführte Leistungen den § 2 Absatz 3 UStG in der am 31.12.2015
geltenden Fassung weiterhin anwenden wird.
Die Bürgermeisterin
In
Vertretung
gez. Schweinsberg