Betreff
Optionserklärung gemäß § 27 Abs. 22 USTG
Vorlage
144/2016
Aktenzeichen
FB3/ Mü
Art
Beschlussvorlage

Sachverhalt:

 

 

Einleitung

 

Nach derzeit geltendem Recht sind juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA) i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 Körperschaft-steuergesetz (KStG) sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch tätig.

 

Durch diese Bindung an den körperschaftsteuerlichen Begriff des Betriebs gewerblicher Art unterliegt insbesondere die vermögensverwaltende Tätigkeit der öffentlichen Hand, die nach Körperschaftsteuerrecht grundsätzlich keinen Betrieb gewerblicher Art darstellt, nicht der Umsatzbesteuerung. Auch die sogenannten Beistandsleistungen zwischen jPdöR unterlagen bisher nicht der Umsatzsteuer.

 

Die in den letzten Jahren praktizierte Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand stand regelmäßig im Fokus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Europäischen Gerichtshofs. Dabei zeigte die Rechtsprechung immer wieder auf, dass das deutsche Umsatzsteuerrecht in Teilen nicht in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht steht und daher Anpassungsbedarf vorliegt.

 

Nunmehr sind Finanzverwaltung und Gesetzgeber tätig geworden um die Umsatzbesteuerung von  jPdöR den Vorgaben der Rechtsprechung anzugleichen.

 

 

 

 

 

Wegfall von § 2 Abs. 3 UStG und Einführung des neuen § 2b UStG

 

Durch den Wegfall von § 2 Abs. 3 UStG hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die bisherige Verknüpfung der umsatzsteuerlichen Beurteilung des Handelns von jPdöR mit dem Begriff des BgA vollständig aufzugeben. 

 

Der neue § 2b UStG hat zur Folge, dass bisherige Besteuerungsprivilegien der öffentlichen Hand aufgehoben werden sollen. Jede Tätigkeit von jPdöR auf privatrechtlicher Grundlage soll nunmehr als unternehmerisch und damit umsatzsteuerbar eingestuft werden.

 

Übt sie demgegenüber eine Tätigkeit aus, die ihr im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt obliegt und führt die Nichtbesteuerung nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, ist die jPdöR nicht als Unternehmer anzusehen. Diese Regelung entspricht weitestgehend dem Wortlaut des Art. 13 MwStSystRL.

 

Keine Wettbewerbsverzerrungen und damit keine Umsatzbesteuerbarkeit liegen insbesondere dann vor, wenn die Bagatellumsatzgrenze von 17.500 € pro Jahr bei gleichartigen Tätigkeiten nicht überschritten ist. Diese Grenze ist angelehnt an die sogenannte „Kleinunternehmerregelung“ des § 19 USTG, wobei der Begriff „gleichartige Tätigkeiten“ noch auslegungsbedürftig sein wird.

Nach der aktuell noch geltenden Rechtslage tritt die Umsatzsteuerbarkeit erst bei Überschreiten einer Umsatzgrenze von 30.678 € ein.

 

Außerdem liegen keine Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9 UStG) einer Steuerbefreiung unterliegen. Dadurch soll die jPdöR einem Unternehmer gleichgestellt werden.

 

Auch die Voraussetzungen für die Nichtsteuerbarkeit der sogenannten Beistandsleistungen bzw. der interkommunalen Zusammenarbeit werden durch den neuen § 2 b UStG geregelt. Danach müssen interkommunale Kooperationen gemäß § 2b Abs. 3 UStG folgende Merkmale kumulativ aufweisen, um als nicht steuerbar behandelt zu werden: 

 

 

  • die Leistungen müssen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen

  • die Leistungen müssen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen,

  • die Leistungen dürfen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden

  • der Leistende muss gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringen

 

 

§ 2b Abs. 4 UStG benennt schließlich Tätigkeiten von jPdöR, die per Legaldefinition unabhängig von den bisher genannten Kriterien als unternehmerische Tätigkeiten gelten, wie z.B. die Tätigkeit der Notare im Landesdienst. Hier wird auch insbesondere auf die Europäische Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie verwiesen, was zur Folge hat, dass beispielsweise Energie- und Wasserlieferungen stets umsatzsteuerpflichtig sind.

 

Nach erster Einschätzung ergeben sich aus Sicht der Stadt Schwelm aufgrund der Regelungen des  § 2b Abs. 4 UStG keine neuen umsatzsteuerpflichtigen Tatbestände.

 

Die Neuregelung des § 2b UStG tritt zum 1. Januar 2016 in Kraft. Allerdings ist eine Übergangsregelung vorgesehen, wonach für sämtliche vor dem 1. Januar 2017 ausgeführten Leistungen die bisherige Rechtslage anzuwenden ist. Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein einjähriger Übergangszeitpunkt angesichts der erheblichen Umstellungsbedarfe bei vielen jPdöR zu kurz bemessen sein dürfte, wird ihnen in dem neu eingeführten § 27 Abs. 22 UStG die Möglichkeit einer Optionserklärung eingeräumt. Danach kann gegenüber dem Finanzamt einmalig erklärt werden, dass man den § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche Leistungen, die zwischen dem 01.01.2017 und dem 31.12.2020 weiterhin anwenden möchte.

 

Wesentlich ist, dass die Erklärung bis zum 31.12.2016 beim zuständigen Finanzamt abgegeben worden sein muss und sich immer einheitlich auf sämtliche von der jPdöR ausgeübten Tätigkeiten zu beziehen hat. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines auf die Abgabe folgenden Kalenderjahres widerrufen werden. Unterbleibt die fristgerechte Abgabe beim Finanzamt gelten für die jPdöR die neuen Regelungen des § 2b USTG, eine Rückkehr zum alten Rechtsstand ist nicht mehr möglich.

 

 

Vorläufige Einschätzung der Sachlage

 

Zunächst kann festgehalten werden, dass viele der Begrifflichkeiten des neuen § 2b UStG derzeit noch unklar und an vielen Stellen mit Unsicherheit behaftet sind.

Ein Anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) sowie Anwendungserlasse wurden bereits angekündigt, welche der weiteren Aufklärung dienen sollen.

 

Ebenso unklar ist, ob die Neuregelungen seitens der EU überprüft und ggf. als nicht EU-rechtskonform angesehen werden.

 

Für die Stadt Schwelm haben die neuen Regelungen nach vorläufiger Einschätzung folgende Konsequenzen:

 

a)      Sämtliche privatrechtliche Einnahmen sind nach neuem Recht umsatzsteuerbar und sofern keine Steuerbefreiungstatbestände vorliegen auch steuerpflichtig. Zu den privatrechtlichen Einnahmen zählen u.a. Mieten, Pachten und Entgelte. Es kann z.B. davon ausgegangen werden, dass zukünftig die Entgelte für die Nutzung der Sportstätten, die zurzeit nicht als BgA geführt werden umsatzsteuerpflichtig werden. Dies impliziert natürlich auch, dass hier die Möglichkeit der Vorsteuerabzugsberechtigung ausgeweitet wird.

 

 

 

 

b)      Im Rahmen von interkommunalen Kooperationen kann zukünftig Umsatzsteuerpflicht entstehen. Da jedoch viele Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 b Abs. 3 UStG auslegungsbedürftig sind, ist eine derzeitige Beurteilung der Sachlage schwierig. Was ist z.B. unter langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen zu verstehen? Wie lauten die Kriterien um die Tatbestandsvoraussetzung einer Kostenerstattung zu erfüllen? Wo liegen die Grenzen um von einer „allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“ ausgehen zu können?  

 

Nach bisheriger Einschätzung dürften z.B. die Leistungen, die die Stadt Schwelm auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen mit den Städten Ennepetal und Sprockhövel über die Durchführung der Beihilfebearbeitung zukünftig steuerpflichtig sein. Ein entsprechender Passus, der auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinweist, ist in den zugrundeliegenden Vereinbarungen bereits enthalten. 

 

c)       Auch Leistungen, die zwischen der Stadt und den TBS also zwischen zwei verschiedenen jPdöR  ausgetauscht werden, könnten umsatzsteuerpflichtig werden. Ausgenommen sind alle Leistungen, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden und der jPdöR per Gesetz vorbehalten sind. Zu nennen sind hier z.B. die Aufgaben der Abwasserbeseitigung, der Straßenreinigung und des Winterdienstes.

 

Es könnte  allerdings sein, dass bestimmte Leistungen wie z.B. die Pflege der städtischen Grünflächen zukünftig als Zusammenarbeit bei lediglich freiwilligen Aufgaben beurteilt und damit umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig werden. Abschließend lässt sich dies aber im Hinblick auf § 2 b Abs. 3 UStG nicht beantworten, da bisher nicht klar definiert wurde, was unter einer „allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“ zu verstehen ist.

 

Auch der Neubau und die Unterhaltung der städtischen Straßen könnte als reine verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeit bewertet werden, was wiederum eine Steuerpflicht auslösen könnte.

 

Sollten die genannten Leistungen zukünftig steuerpflichtig werden, ist von einer deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushaltes auszugehen.

 

Ebenso dürften z.B. die Leistungen der Allgemeinen Datenverarbeitung, der zentralen Dienste, des Ratsmanagements und des Personalbereiches, die die Stadt für die TBS AöR erbringt umsatzsteuerpflichtig werden.

Hier ist anzumerken, dass der Gesetzgeber auf Leistungsbeziehungen zwischen jPdöR innerhalb einer Stadt bisher nicht explizit eingegangen ist.

 

 

 

 

Verfahrensvorschlag

 

Nach einer ersten Einschätzung wird es durch den neuen § 2b UStG zu einer deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushaltes kommen. Diese resultiert insbesondere aus der erwarteten zukünftigen Besteuerung der Leistungen der TBS, die außerhalb der Gebührenbereiche liegen.

Da der Verwaltungsrat der TBS in der Sitzung am 21.06.2016 den Vorstand beauftragt hat die Optionserklärung gem. § 27 Absatz 22 UStG gegenüber dem Finanzamt abzugeben, tritt diese Mehrbelastung zunächst nicht ein.

 

Daneben sind die Nachteile aus der Anwendung des § 2b UStG momentan überwiegend in der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Vielzahl von noch nicht näher erläuterten Rechtsbegriffen  zu sehen. Nach Vorliegen des erwarteten BMF-Schreibens wird die Verwaltung die Sachverhalte im Einzelnen prüfen und im Hinblick auf den endgültigen Umsetzungszeitpunkt alle notwendigen Voraussetzungen für die Anwendung der Neuregelung schaffen.

 

Sollten sich bis zum 01.01.2021 Sachverhalte ergeben, die insgesamt vorteilhafter für die Stadt sind, wird die Verwaltung dem Rat vorschlagen, die Optionserklärung zu widerrufen.

 

 


Beschlussvorschlag:

 

Die Bürgermeisterin wird beauftragt, die Optionserklärung gemäß § 27 Absatz 22 UStG rechtzeitig vor dem 31.12.2016 gegenüber dem zuständigen Finanzamt abzugeben um darzulegen, dass die Stadt für sämtliche zwischen dem 01.01.17 und dem 31.12.2020 ausgeführte Leistungen den § 2 Absatz 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung weiterhin anwenden wird.

 


Die Bürgermeisterin

                                                                                                              In Vertretung

                                                                                                              gez. Schweinsberg