Betreff
Optionserklärung gemäß § 27 Abs. 22 UStG
Vorlage
080/2016
Aktenzeichen
§2 b UStG
Art
Beschlussvorlage der TBS

Sachverhalt:

 

Einleitung:

 

Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand beschäftigt insbesondere die Rechtsprechung seit Jahren. Im bundesdeutschen Umsatzsteuerrecht war für eine potenzielle Umsatzsteuerpflicht das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art (BgA) maßgeblich. Die ausschließliche Vermögensverwaltung und der Hoheitsbetrieb unterlagen nicht der Umsatzsteuer.

 

Demgegenüber wurde auf europäischer Ebene vordergründig der Gedanke des Wettbewerbs in die Entscheidung möglicher Umsatzsteuerpflicht einbezogen. Hieraus folgend urteilte u. a. der Bundesfinanzhof (BFH) im November 2011, dass die entgeltliche Nutzungsüberlassung einer gemeindlichen Sporthalle an eine andere Gemeinde der Umsatzsteuer unterliege und sah die Unternehmereigenschaft der Gemeinde als gegeben an. Weitere Urteile verfolgten dieselbe Zielrichtung.

 

Es wurde daraufhin politisch insbesondere darüber diskutiert, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Aufgabenerfüllung und die interkommunale Zusammenarbeit zukünftig umsatzsteuerfrei erfolgen könne.

 

 

Neuregelung und Einführung des § 2 b UStG:

 

Im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 2015 wurde u. a. ein neuer § 2 b UStG eingeführt. Diese Vorschrift orientiert sich eng an europäischen Vorschriften, namentlich an Art. 13 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie.

 

Sofern die juristische Person des öffentlichen Rechts (nachfolgend: jPdöR) auf privatrechtlicher Grundlage (durch Vertrag) tätig ist, erfüllt sie zukünftig die Unternehmereigenschaft. Hier erfolgt prinzipiell eine Gleichstellung mit privaten Wirtschaftsakteuren.

 

 

Die Unternehmereigenschaft ist nicht erfüllt, sofern

 

·         die jPdöR Tätigkeiten im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt ausübt und

·         die Nichtbesteuerung nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt.

 

Von einer Tätigkeit im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt ist grundsätzlich auszugehen, wenn die jeweilige jPdöR im Rahmen öffentlich-rechtlicher Regelungen tätig wird, die für private Dritte nicht gelten können, also durch Verwaltungsakt, auf Grundlage eines Staatsvertrages oder auf Grundlage besonderer kirchenrechtlicher Regelungen.

 

Die Nichtbesteuerung darf aber auch bei Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Gewalt nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Diese liegen insbesondere nicht vor, wenn

 

·         der erzielte Umsatz im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten voraussichtlich jeweils 17.500 € nicht übersteigen wird oder

·         vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9 UStG) einer Steuerbefreiung unterliegen.

 

Der erste Fall beinhaltet eine „Kleinunternehmerregelung“, wobei noch auslegungsbedürftig sein wird, was „gleichartige Tätigkeiten“ sind.

 

Im zweiten Fall soll die jPdöR genauso wie ein Unternehmer gestellt werden, der in den vorliegenden Fällen nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.

 

Hinzuweisen ist noch darauf, dass auch weitere, nicht genannte Kriterien erfüllt sein könnten, um „größere Wettbewerbsverzerrungen“ festzustellen (…insbesondere…), wobei bereits das Tatbestandsmerkmal der „größeren“ Wettbewerbsverzerrungen auslegungsbedürftig ist.

 

§ 2 b Abs. 3 UStG regelt das Nichtvorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen bei Leistungen an eine andere jPdöR. Sie liegen insbesondere nicht vor, wenn

 

·         die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen,

·         die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen,

·         die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und

·         der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt.

Sämtliche Voraussetzungen müssen gleichzeitig bzw. nebeneinander erfüllt sein!

§ 2 b Abs. 4 UStG führt Tätigkeiten auf, bei der die jPdöR immer als Unternehmerin gilt. Diese sind für die TBS nach erster Einschätzung nicht relevant.

 

Die neuen Regelungen gelten ab dem 1.1.2017. Das bisherige Recht kann aber gemäß § 27 Abs. 22 UStG bis zum 31.12.2020 angewendet werden. Hierzu muss dem Finanzamt einmalig eine entsprechende Erklärung bis zum 31.12.2016 abgegeben werden. Vor dem 31.12.2020 kann diese Erklärung mit Wirkung zu Beginn des neuen Kalenderjahres widerrufen werden. Wendet die jPdöR das neue Recht an, ist eine Rückkehr zum alten Rechtsstand nicht mehr möglich.

 

 

 

 

 

Vorläufige Einschätzung:

 

Die neuen Regelungen sind an vielen Stellen auslegungsbedürftig. Es wird erwartet, dass ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) veröffentlicht wird, das der Aufklärung dienen soll.

 

Ebenso unklar ist, ob die Neuregelungen seitens der EU überprüft und ggf. als nicht EU-rechtskonform angesehen werden.

 

Für die TBS haben die neuen Regelungen nach vorläufiger Einschätzung folgende Konsequenzen:

 

a)      Sämtliche privatrechtlichen Einnahmen sind umsatzsteuerbar. Sofern keine Steuerbefreiungstatbestände vorliegen, unterliegen sie der Umsatzsteuer. Zu den privatrechtlichen Einnahmen zählen u. a. Mieten, Pachten und Entgelte.

 

b)      Im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit kann Umsatzsteuerpflicht entstehen. § 2 b Abs. 3 UStG ist an vielen Stellen auslegungsbedürftig, wie nachfolgende, beispielhafte Fragen verdeutlichen:

 

  • Was sind langfristige öffentlich-rechtliche Vereinbarungen?
  • Wie weit ist die Voraussetzung „einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“ auszulegen?
  • Wie berechnet sich die Kostenerstattung?
  • Wie ist die Wesentlichkeitsgrenze zu definieren?

 

Nach bisheriger Einschätzung dürften z. B. Leistungen im Rahmen der Kooperation mit den TBGev zukünftig umsatzsteuerpflichtig sein.

 

c)       Die Leistungen zwischen der Stadt und den TBS könnten umsatzsteuerpflichtig werden. Die TBS sind als Anstalt öffentlichen Rechts rechtlich selbstständig. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Leistungsbeziehungen zwischen jPdöR innerhalb einer Stadt - unbewusst? – nicht berücksichtigt hat.

 

Kritisch sind hier insbesondere die so genannten verwaltungsunterstützenden Hilfstätigkeiten zu sehen, die nur mittelbar der hoheitlichen Aufgabenerfüllung dienen. In der Bundestagsdrucksache 18/6094 werden auf S. 75 die Tätigkeiten der Gebäudereinigung, der Grünpflegearbeiten sowie der Neubau und die Sanierung von Straßen und Gebäuden genannt. Das Finanzministerium des Landes NRW griff diese Tätigkeiten im Rahmen der Vorlage 16/3316 an den Ausschuss für Kommunalpolitik auf und bestätigte die Umsatzsteuerpflicht obiger Leistungen.

 

Aus dem Wortlaut des Gesetzes und dem Beratungsverlauf laut obiger BT-Drucksache wird deutlich, dass der Gesetzgeber vorrangig mögliche Steuerbefreiungen im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit im Fokus hatte.

 

Ebenso lässt sich die Frage, ob z. B. die Aufgabe der Grünflächenpflege in Schwelm eine „allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe“ darstellt oder eine originär städtische Aufgabe den TBS „nur“ zur (eigenverantwortlichen) Durchführung (hier per Satzung) übertragen worden ist, mit Blick auf die Auslegungsbedürftigkeit des § 2 b Abs. 3 UStG nicht abschließend beantworten.

 

Nach bisheriger Einschätzung ist es wahrscheinlich, dass derartige Leistungen zukünftig umsatzsteuerpflichtig sind mit der Folge, dass der städtische Haushalt zusätzlich belastet würde. Diese Mehrbelastung beträgt voraussichtlich – basierend auf den Verrechnungen der Vorjahre – ca. 500 T€.

 

 

Verfahrensvorschlag:

 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen noch zahlreiche Rechtsunsicherheiten. Die kommunale Ebene erwartet nähere Erläuterungen und Auslegungen zum § 2 b UStG seitens des BMF.

 

Nach bisheriger Einschätzung des Vorstands liegt für die Leistungserbringung außerhalb der Gebührenbereiche eine potenzielle Steuerpflicht vor. Nach Veröffentlichung des BMF-Schreibens ist die Sicht zu verifizieren.

 

Da nach der vorläufigen Einschätzung von einer deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushalts durch die Neuregelungen auszugehen ist, ist die Erklärung auf Beibehaltung des alten Rechtsstandes rechtzeitig vor dem 31.12.2016 gegenüber dem Finanzamt abzugeben.

 

Innerhalb des Übergangszeitraums wird der Vorstand untersuchen, inwieweit rechtliche oder organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung zusätzlicher Haushaltsbelastungen bestehen.

 

 


Beschlussvorschlag:

 

Der Vorstand wird beauftragt, die Optionserklärung gemäß § 27 Absatz 22 UStG auf Beibehaltung des alten Rechtsstandes bzgl. der Umsatzsteuerpflicht rechtzeitig vor dem 31.12.2016 gegenüber dem Finanzamt abzugeben.

 


 

 

Der Vorstand

gezeichnet

Markus Flocke